Wie unterschiedliche Formate digital gestützten Feedbacks das selbstständige Lernen der Studierenden unterstützen sollen
Es gibt verschiedene Ansätze, zukünftige Lehrkräfte auf das Unterrichten und ihre Rolle als Lehrperson vorzubereiten. Unsere Digital Fellowships der aktuellen Interview-Ausgabe involvieren hierbei jeweils andere Mitlernende (Peers), binden diese aber in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen ein. Im Digital Fellowship von Stefanie Wiemer von der Universität Leipzig unterstützen Mitstudierende höherer Semester begleitend zur Nutzung eines Self-Assessments die Selbstreflexion und den Austausch. Im Tandem-Fellowship von Dr. Beatrice Rupprecht von der Universität Leipzig und Dr. Anja Günther von der TU Chemnitz bearbeiten und reflektieren die Studierenden in hochschulübergreifenden Gruppen Aufzeichnungen von Unterrichtssequenzen. Wie sie damit jeweils die Ausbildung der zukünftigen Lehrkräfte unterstützen, erklären sie im Interview.
Können Sie uns kurz erklären, welche Form des Lernens mit anderen Lernenden (Peers) Sie in Ihrem Fellowship umsetzen?
Dr. Günther & Dr. Rupprecht: In unserem Projekt greifen wir die Idee des hochschulübergreifenden Peer Learnings auf. Das heißt, dass Studierende von beiden Hochschulstandorten (Chemnitz und Leipzig) ein Tandem bilden, das gemeinsam die problemzentrierten Aufgabenstellungen bearbeitet. Dabei dienen Falldarstellungen in Form von kurzen Videoclips als Ausgangspunkt für die Bearbeitung der Aufgabenstellungen, die die Komplexität und das Zusammenwirken verschiedener Studieninhalte in der Praxis verdeutlichen. Der fachliche Dialog sowie die Bereitstellung der Materialien erfolgt via der Lernplattform Moodle. In diese Form der Kollaboration bringen die Studierenden des jeweils anderen Hochschulstandortes zum gleichen Thema eine jeweils spezifische Perspektive in den fachlichen Dialog ein, da in der Lehre an beiden Hochschulen die gleichen Themen der Lehrer:innenqualifizierung in unterschiedlichen Kontexten, zeitlichen Abläufen und mit teils unterschiedlicher Fachliteratur bearbeitet werden. Die übergeordneten Ziele dieser hochschulübergreifenden Zusammenarbeit zwischen den Studierenden liegen einerseits im Theorie-Praxis-Transfer zu einem frühen Zeitpunkt des Studiums (1. Semester), in der Vernetzung zwischen den Studierenden und in der Maximierung der Qualität der Lehrer:innenprofessionalisierung durch den direkten Austausch des fachlichen Know-Hows auf Studierenden- und Dozierenden-Ebene.
Frau Wiemer: Im Projekt naviLE bieten Lehramtsstudierende höherer Semester Tutorien für Studienanfänger:innen im ersten Semester an. Die Tutorien sind in das erste bildungswissenschaftliche Modul integriert, in dem sich die Studierenden mit Grundlagen der Schulpädagogik beschäftigen. Dazu gehören beispielsweise Charakteristika des Lehrer:innenberufs, wozu Aufgaben und Rollenbilder, aber auch Herausforderungen und Belastungsmomente zählen. Diese Inhalte werden in den Lehrveranstaltungen des Moduls anhand von Seminartexten und der Analyse von Fallbeispielen thematisiert. Wichtig für die Professionalisierung der Lehramtsstudierenden ist aber auch die Frage, wie sich das Gelernte zur eigenen Person verhält. Solche persönlichen Fragen, z. B. zur eigenen Belastbarkeit, zu eigenen Ressourcen und Grenzen, werden von Studierenden – verständlicherweise – nicht immer gern offen thematisiert, vor allem wenn die Seminarleitung am Ende des Semesters auch die Prüfungsleistung bewertet. Hierfür braucht es einen geschützten Raum, in dem die Studierenden „unter sich“ sind. Einen solchen Raum schaffen wir mit den durch Peers angeleiteten Tutorien.
Inwiefern profitieren Ihre Studierenden von dieser besonderen Form des Peer-Lernens?
Dr. Günther & Dr. Rupprecht: Die ersten Rückmeldungen der teilnehmenden Studierenden aus der Erprobungsphase im Wintersemester 2021/2022 zeigen, dass der hochschulübergreifende Dialog und die Kollaboration auf der Grundlage praxisrelevanter Fragestellungen die vertiefte, praxisbezogene Auseinandersetzung mit den Inhalten des Studiums fördern. Die positiven Rückmeldungen verweisen darauf, dass die Studierenden sich sehr gut auf die Modulprüfung vorbereitet sehen, von Beginn des Studiums an die praktischen Bezüge zum späteren Berufsalltag herstellen können, sich im fachlichen Dialog mit anderen, hochschulexternen Partner:innen schulen und zugleich die Inhalte des Studiums festigen.
Frau Wiemer: Die Studierenden finden in den Peer-Angeboten, also den Tutorien, eine durch die flachere Hierarchie offene und gleichsam geschützte Arbeitsatmosphäre vor. Es fällt ihnen dadurch leichter, die Themen des Moduls auch auf persönlicher Ebene zu besprechen. Angeleitet durch die Tutor:innen nutzen sie verschiedene Fragebögen des Online-Self-Assessment-Tools LEHRAMTSKOMPASS, z. B. zu ihrer eigenen Belastbarkeit oder ihren Stärken und Schwächen im wissenschaftlichen Arbeiten. Der LEHRAMTSKOMPASS bietet ein personalisiertes, auf die Fragebogenergebnisse abgestimmtes Feedback an und verweist auf Beratungs- und Weiterbildungsangebote an der Uni Leipzig (und für Lehramtsstudierende in Dresden auch an der TU Dresden). Im Tutorium werden die Ergebnisse zusätzlich besprochen. So können sich die Studierenden, wenn sie ähnliche Herausforderungen für sich sehen, zu Gruppen zusammenfinden, um sich gemeinsam weiter zu entwickeln, indem sie z. B. Lerngruppen bilden oder sich für ein Weiterbildungsangebot anmelden. Dies ist wichtig, da eine Verhaltensänderung nur vollzogen wird, wenn die Absicht zur Veränderung auch wirklich in die Tat umgesetzt wird. Die soziale Komponente (im Sinne von „wir schaffen das gemeinsam“, aber auch im Sinne sozialer Kontrolle) hilft bei dieser Umsetzung. Insgesamt sehen die Studierenden dreierlei: dass sie nicht allein mit den Herausforderungen des Studiums und des angestrebten Berufs sind (Mitstudierenden geht es ähnlich); dass es möglich ist, daran zu arbeiten und welche Optionen dazu bestehen; wo es Unterstützungsangebote gibt, die bei Schwierigkeiten jetzt oder im weiteren Verlauf des Studiums konsultiert werden können.
Inwiefern bereit das von Ihnen gewählte Szenario die Studierenden auf Ihre zukünftige Rolle als Lehrkraft vor?
Dr. Günther & Dr. Rupprecht: Die Fallvignetten liegen in Form von Videosequenzen vor, die Ausschnitte aus dem Schulalltag enthalten (Mitschnitte von Unterricht). Das heißt, es handelt sich um eine realistische Abbildung der Herausforderungen der späteren eigenen Unterrichtspraxis. Insofern werden die theoretischen Inhalte des Studiums (z. B. zum Thema Klassenführung und Unterrichtsstörungen) in einen lebendigen Kontext eingebettet. Die Studierenden erhalten somit bereits im 1. Semester die Möglichkeit, im Rahmen der Kollaboration in einem geschützten Handlungsrahmen ein Handlungskonzept zu erarbeiten, das theoretisch-reflexiv begründet ist.
Frau Wiemer: Zum einen beschäftigen sich die Studierenden intensiv mit den Herausforderungen des Studiums und des angestrebten Lehrberufs. Zum anderen erfahren sie den Einsatz eines digitalen Tools, des LEHRAMTSKOMPASS, durch das ihre persönlichen Erfahrungen mit den Modulinhalten in einen Zusammenhang gebracht werden. Diese Herangehensweise lässt das Medium nicht als „Add-On“ erscheinen, sondern als integrierte Unterstützung des Lern- und Reflexionsprozesses. Eine Erfahrung, die die Studierenden in ihrer späteren Tätigkeit nutzen können, um selbst ihre Lehrtätigkeit mithilfe sinnvoll integrierten Medieneinsatzes zu gestalten. D.h. sie entwickeln durch das Lernen am Modell mediendidaktische Kompetenzen für das Berufsleben.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung des Lehrszenarios dabei?
Dr. Günther & Dr. Rupprecht: Im Rahmen der Digitalisierung konnte das Projekt trotz der pandemischen Situation im digitalen Arbeitsmodus hochschulübergreifend stattfinden. Sowohl die Auftaktveranstaltung als auch die Arbeitstreffen sowie Evaluationsinterviews wurden in der Pretest-Phase im virtuellen Seminarraum durchgeführt. Das Teilen aller notwenigen Informationen erfolgte über das Lernmanagementsystem Moodle. Zudem beruhte die Ermöglichung einer verstärkten Theorie-Praxis-Verknüpfung auf der Nutzung von digitalisierten Videofallvignetten.
Frau Wiemer: Durch das digitale Vorliegen des LEHRAMTSKOMPASS kann dieser von den Studierenden bequem von überall genutzt werden. So konnten, als die Tutorien im Wintersemester 2021/22 von der Präsenzlehre ins Digitale wechselten, die Studierenden von zu Hause aus auf die Fragebögen zugreifen. Der LEHRAMTSKOMPASS kann demnach leicht in Präsenz-, digitaler und hybrider Lehre zum Einsatz kommen – die Ausprägung des Lehrszenarios ist dafür unerheblich.
Welches Feedback erhalten Sie von den Studierenden zu den neu eingeführten Elementen in der Lehre?
Dr. Günther & Dr. Rupprecht: Die Evaluationsinterviews haben verdeutlicht, dass die Videofallarbeit eine sinnvolle Methodik zur Theorie-Praxis-Verknüpfung darstellt. Die Ermöglichung eines anwendungsbezogenen Lehr-Lern-Settings wird seitens der Studierenden als wertvoll und bereichernd empfunden. Die zeitnahe Ergänzung praxisnaher Videosequenzen zu den im Seminar erworbenen theoriebasierten Grundlagen bietet eine vertiefte Reflexionsmöglichkeit der erlernten Inhalte. Die Teilnehmenden haben zudem die Fallarbeit zur Intensivierung der Prüfungsvorbereitung genutzt. Insbesondere der hochschulübergreifende Austausch lieferte einen Beitrag dazu, von den Traditionen und Gepflogenheiten des anderen ausbildenden Standortes zu profitieren und die eigene Perspektive zu erweitern. Durch die handlungsorientierten Aufgabenstellungen konnten die zugrundeliegenden Lehrveranstaltungen um ein selbstgesteuertes Lehr-Lern-Setting erweitert werden und damit beim Kompetenzaufbau unterstützen.
Frau Wiemer: Die Studierenden sind vor allem froh über das Angebot eines Tutoriums im Modul und die Möglichkeit zum Austausch untereinander und Fragenstellen an die Tutor:innen. Dabei trat die Beschäftigung mit dem LEHRAMTSKOMPASS zuweilen zurück hinter Fragen zu Modulinhalten. Das zeigt, dass Tutorien generell ein Ort sind, an dem Studierende sich weniger gehemmt fühlen, offen eigene Defizite zu thematisieren. Auch wenn die Rückmeldungen zum Einsatz des LEHRAMTSKOMPASS unterschiedlich ausgeprägt waren, werden wir diesen weiterhin in den Tutorien des Moduls einsetzen, damit das Tool die Studierenden über ihr gesamtes Studium begleiten kann. Oftmals bleibt der Nutzen noch verborgen, solange keine eigenen Erfahrungen mit den Herausforderungen des Studiums und des Berufs vorliegen. Daher bin ich sicher, dass die Studierenden spätestens nach der ersten Prüfungsphase oder dem ersten Praktikum auf den LEHRAMTSKOMPASS zurückkommen werden, um ihre Erfahrungen einzuordnen, ihre Weiterentwicklung zu dokumentieren oder um nach Unterstützungsangeboten zu suchen.